Shira Kaplan: Aufbau eines Cybersecurity-Ökosystems in der Schweiz

14. Juni 2024 | Aktuell Allgemein Interviews
Shira Kaplan, weltbekannte Cybersecurity-Expertin, Gründerin von Cyverse AG und Cyverse Capital.
Shira Kaplan, weltbekannte Cybersecurity-Expertin, Gründerin von Cyverse AG und Cyverse Capital.

Shira Kaplan ist die Gründerin und CEO von Cyverse AG. Shira’s technologischer Hintergrund reicht bis zu ihrem Militärdienst in der Elite-Technologieeinheit 8200 des israelischen Geheimdienstes zurück, wo sie als Geheimdienstanalystin tätig war. Sie hatte Führungspositionen in börsennotierten Unternehmen wie Teva Pharmaceuticals Ltd und Bank Julius Baer & Co. in Zürich inne.

thebroker ist stolz darauf, mit der weltbekannten Cybersecurity-Expertin Shira Kaplan, Gründerin von Cyverse AG und Cyverse Capital, zu sprechen.

Shira Kaplan, als ehemalige Agentin des israelischen Geheimdienstes muss ich Sie fragen, wie es möglich war, dass Israel nicht auf den massiven Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 vorbereitet war?

Am Vorabend des 7. Oktober war Israel ein gespaltenes Land, das sich auf interne Machtkämpfe konzentrierte, anstatt seine Feinde genau im Blick zu behalten. Unsere Nation war damit beschäftigt, auf den Strassen zum Thema der Justizreform gegen unsere Regierung zu protestieren. Unsere Truppen waren weit entfernt von Gaza stationiert.

Es lagen ausführliche Berichte über den präzisen Angriff der Hamas vor, die bereits im Oktober 2022, ein Jahr vor dem Angriff, verfügbar waren. Sie wurden von unseren Geheimdienstchefs ignoriert und abgetan.

Am schlimmsten war, dass unsere Geheimdienstgemeinschaft zu stark von Technologie und KI abhängig wurde und zu wenig auf menschliche Intelligenz und gesunden Menschenverstand achtete.

Das alles zusammen führte zu dem grössten Geheimdienstversagen seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973.

Sie sind Absolventin der Harvard University (Bachelor in Politikwissenschaft und Chinesisch), haben einen MBA von der Universität St. Gallen HSG, wo Sie Ihre Abschlussarbeit über Schweizer Risikokapitalinvestitionen in israelische Cybersicherheits-Startups geschrieben haben und dafür mit dem Stipendium «Frauen in Business» ausgezeichnet wurden. Im Jahr 2017 wurden Sie als Young Global Leader vom Weltwirtschaftsforum ausgewählt und 2018 als eine der «40 israelischen Geschäftsleiter unter 40» vom israelischen Finanzmagazin Globes erkoren. Sie sind auch Mitglied des Beirats der Genfer Schule für Wirtschaft und Management (GSEM) und aktives Vorstandsmitglied des Weizmann Young European Network (WYEN). Sie haben auch viele Auszeichnungen wie das «Seeds of Peace» Stipendium, das Goldman Stipendium und das Milken Stipendium gewonnen. Ich habe vielleicht vergessen weitere zu erwähnen. Wie ist das möglich, sind Sie noch nicht einmal 40 Jahre alt?

Das Wichtigste, was Sie vergessen haben zu erwähnen, Binci, ist, dass ich 3 Kinder habe: 10, 8 und 5 Jahre alt. Sie sind mein wirklicher Fokus!

Vielleicht liegt die Antwort darin, dass ich relativ schnell Entscheidungen treffe und sie schnell umsetze. Ich habe keine Angst, Risiken einzugehen, wenn sie für mich sinnvoll sind. Ich vertraue auf mich selbst und meinen engen Kreis von Beratern. Ich konzentriere mich auf die Gegenwart und die Zukunft, selten auf die Vergangenheit, und lasse mich nicht von Geschäften emotional mitreissen.

Warum sind Sie vor über 10 Jahren aus dem High-Tech-Land und Startup sowie Cybernation Israel in die Schweiz gekommen?

Wie viele andere Expats folgte ich meinem israelischen Ehemann, Itay Shlomo, in die Schweiz. Itay zog mit KPMG nach Zürich, wo er in die Abteilung «Transaction Services Practice» einstieg und später zu Gategroup wechselte.

Ich ging zuerst ins Private Banking bei der Bank Julius Baer und habe nebenbei meinen MBA an der Universität St. Gallen gemacht, wo die Idee für Cyverse AG und Cyverse Capital entstand.

Im Jahr 2016 gründeten Sie Cyverse AG in Zug. Was bietet Ihr Unternehmen an?

Cyverse AG ist hauptsächlich eine Reselling Company. Wir bieten erstklassige Cybersecurity-Technologien für Unternehmen der nächsten Generation an. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen, wir bieten eine Lösung an, die Backup & schnelle Wiederherstellung von Ransomware für kritische Systeme ermöglicht. Diese Lösung ist für Versicherungsunternehmen sehr interessant, da sie ihre versicherten Kunden vor Cyberangriffen schützt und deren Geschäftskontinuität während eines Systemausfalls gewährleistet.

Eine weitere Lösung ist eine KI-Sicherheitsplattform. Stellen Sie sich das wie einen sicheren ChatGPT vor, der mit den Richtlinien und Verfahren Ihres Unternehmens übereinstimmt und es Ihren Mitarbeitern nicht erlaubt, Daten an GenAI-Tools weiterzugeben. Und wir haben viele andere interessante technologische Lösungen.

Zudem «vermieten» wir bei Cyverse AG auch Cybersicherheitsberater, die darauf spezialisiert sind, Ihre Entwicklungsteams zu unterstützen, relevante Dokumentation nach bestimmten regulatorischen Rahmenbedingungen zu aktualisieren, Penetrationstests durchzuführen und viele andere hochspezialisierte Fähigkeiten. Heutzutage ist es ziemlich schwierig, hochqualifizierte und bezahlbare Cybersicherheitsexperten zu finden. Wir stellen sie multinationalen und lokalen Schweizer Kunden zur Verfügung. Cyverse ist der führende Anbieter israelischer Cybersecurity-Lösungen der nächsten Generation in der DACH-Region und Skandinavien.

Welches Land nutzt Ihre Dienste am meisten?

75 Prozent unserer Kunden sind Schweizer (multinationale und lokale) Unternehmen. 10 Prozent unserer Kunden stammen aus Skandinavien, weitere 10 Prozent sind Deutsche und weitere 5 Prozent stammen aus anderen Ländern, darunter Österreich und das Vereinigte Königreich.

Die vier führenden Universitäten in Israel und die ETH und EPFL in der Schweiz haben jeweils 1500 Spin-offs in Israel respektive 1100 in der Schweiz hervorgebracht. Gibt es weitere Ähnlichkeiten zwischen den beiden Ländern?

Die Schweiz und Israel sind beide kleine Länder mit rund 9 Millionen Einwohnern, die hoch innovativ sind, eine hohe Literalität aufweisen, eine niedrige Arbeitslosenquote haben, hohe Lebensstandards bieten und auf wissensbasierten Volkswirtschaften basieren.

Sie sind Angel-Investorin in israelischen Tech- und Cybersicherheits-Startups. Als in der Schweiz lebende Person, möchten Sie nicht auch in Schweizer Startups investieren?

Ich bin sehr darauf bedacht, in Schweizer Cybersicherheits-Startups zu investieren, und suche definitiv nach den richtigen Unternehmen, in die ich investieren kann.

Bei Cyverse Capital investieren wir in Cybersicherheits-Startups, die folgende Kriterien erfüllen: (1) das Gründungsteam ist hochkommerziell und nicht nur «technisch» (2) die Bewertung ist attraktiv (3) das Startup hat starke Konkurrenz in seinem Bereich (4) von Anfang an ist klar, welche Unternehmen dieses Startup erwerben könnten und zu welchem Preis.

Ich habe bisher noch kein Schweizer Cybersicherheits-Startup getroffen, das all diese Kriterien erfüllt.

Sie möchten ein Cybersecurity-Ökosystem in der Schweiz aufbauen. Da Israel im Mittelpunkt des globalen Cybersecurity-Ökosystems steht, sollte das schweizerische Cybersecurity-Ökosystem dem israelischen ähnlich sein?

Die Schweiz bietet seit vielen Jahrzehnten physische Sicherheit und Schutz. Dies ist ein grosser Vorteil, den die Schweiz in der digitalen Welt nutzen kann. Es liegt daher nahe, dass die Schweiz zum globalen Zentrum für digitales Vertrauen und Cybersicherheit wird.

Die Schweiz hat jedoch Schwierigkeiten, ihr Cybersicherheits-Ökosystem in Gang zu bringen. Nach meiner Meinung fehlen hier noch einige Elemente: (1) kühne, global denkende und kommerziell orientierte Cyber-Unternehmer (2) dedizierte Cybersicherheits-Risikokapitalfonds (3) eine Kultur von Geschwindigkeit und Transparenz, die für den Erfolg des Cybersicherheits- und jedes andere Startup-Ökosystem entscheidend ist (4) multinationale oder Schweizer Unternehmen, die bereit sind, 300 Millionen – 500 Millionen CHF für den Erwerb eines Schweizer Cybersicherheits-Startups zu zahlen.

Sobald all diese Elemente zusammenkommen, wird das Ökosystem hier gedeihen, glauben Sie mir.

Wen konnten Sie bereits inspirieren?

Hoffentlich die folgenden Personen, in dieser Reihenfolge:

  • Meine Töchter,
  • Die jungen Schweizerinnen und Israelis, die ich im Laufe der letzten zehn Jahre betreuen durfte,
  • Die Schweizerischen und israelischen Cybersicherheits-Unternehmer, mit denen ich zusammengearbeitet habe,
  • Einige Cybersicherheits-Investoren, die meine Arbeit schätzen.
Von den 1206 Unicorns im Cybersecurity-Sektor weltweit befinden sich 43 in Israel. In der Schweiz gibt es nur 6. Was muss die Schweiz tun, um mehr Geld für Start-ups verfügbar zu machen?

Wenn die Schweiz global wettbewerbsfähig im Risikokapital werden will, muss sie ihre Geschäftspraktiken ändern.

Vor allem ist die Geschwindigkeit des Geschäfts von entscheidender Bedeutung: Es muss 5 Minuten dauern, bis ein junger Startup-Gründer den wichtigsten und geschäftigsten Schweizer Geschäftsmenschen trifft, nicht 5 Monate oder 5 Jahre… Die Leute müssen einander vertrauen, ihre Adressbücher öffnen und Menschen systematischer miteinander bekannt machen. So werden im Silicon Valley Geschäfte gemacht, und so funktioniert das Risikokapital in Tel Aviv. Das schafft Geschwindigkeit und Schwung.

Zweitens muss das Ökosystem transparenter und weniger «privat» sein. Lassen Sie mich Ihnen ein konkretes Beispiel geben. Wenn ich sehe, dass es einen «Exit» (M&A) eines Schweizer Startups gibt, das von einem anderen Unternehmen übernommen wird, ich aber nicht leicht herausfinden kann (zum Beispiel auf Crunchbase.com), (1) wie viel Kapital das Schweizer Startup gesammelt hatte und (2) für wie viel es erworben wurde, fühle ich mich als Investor «blind». Ich investiere lieber in ein Ökosystem, in dem all diese Zahlen und Daten öffentlich zugänglich sind, denn das hilft mir, viel fundiertere Entscheidungen über meine Risikoinvestitionen zu treffen.

Was halten Sie von der Deep Tech Nation Switzerland-Stiftung, die in diesem Jahr Startups, Scaleups und Investoren im Deep-Tech-Sektor unterstützen wird und in den nächsten zehn Jahren 50 Milliarden CHF mobilisieren will?

Ich halte die Deep Tech Nation für eine fantastische Initiative. Aber die Deep Tech Nation wird nur erfolgreich sein, wenn die Schweiz eine Kultur der Offenheit, Geschwindigkeit und Transparenz in der Risikokapitalindustrie annimmt und wenn schweizerische Unternehmer sich stärker vermarkten und weniger schüchtern und bescheiden werden. Zurückhaltung ist im globalen Massstab nicht wettbewerbsfähig.

Wird es in der Schweiz bald einen Silicon Mountain geben, nachdem es bereits ein Silicon Valley in den USA und ein Silicon Wadi in Israel gibt?

Glücklicherweise musste die Schweiz keine Kriege führen, so dass das Land nicht gezwungen ist, wie Israel und die Vereinigten Staaten militärisch zu innovieren. Innovation ist hier ein Privileg, kein Muss.

Die Kultur in der Schweiz ist immer noch eher risikoavers als risikobereit, würde ich sagen. Für einen jungen Menschen ist es immer noch sehr attraktiv, in einem der schweizerischen multinationalen Unternehmen zu arbeiten. Wenn sie ein ausgeglichenes Leben führen, um 17 Uhr Feierabend machen, ins Fitnessstudio gehen und nach der Arbeit mit ihrer Freundin ein Getränk haben möchten, würde sich ein junger Mensch in Zürich, Biel oder Genf eher dafür entscheiden, für ein gut zahlendes Schweizer Unternehmen zu arbeiten, anstatt ein Startup zu gründen.

Das Land hat viele Elemente, die benötigt werden, um den Silicon Mountain zu erschaffen: brillante Ingenieure, den Seelenfrieden zur Innovation, ein unglaubliches Mass an Effizienz und viel Investorengeld. Alles, was wir brauchen, ist ein gewisser Konsens des Schweizer Volkes, dass Risikokapital tatsächlich der Weg nach vorne für dieses Land ist… Wenn die Schweizer (und Bern) sich mit Herz und Verstand dafür einsetzen, wird die Risikokapitalindustrie hier in den nächsten 20 Jahren sehr weit gehen.

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Tags: #Cyverse AG #Cyverse Capital #Shira Kaplan