Seneca Care: Wo Patienten und Pflegepersonal glücklich sind
3. Mai 2024 | Allgemein Aktuell InterviewsDas von der CSS und EPFL Innovation Park unterstützte Programm Future of Health Grant (FoHG) hat aus 133 Bewerbungen acht neue Start-ups ausgewählt. Diese erhalten individuelle Unterstützung im Wert von 10’000 bis 90’000 Franken. Damit tragen sie zu einem dynamischen Ökosystem wichtiger Akteure bei, die sich mit der Effizienzsteigerung des Gesundheitswesens mit digitalen Technologien befassen. Seneca Care wurde bereits zum zweiten Mal ins Programm gewählt.
thebroker spricht mit Adalbert Koch, dem Gründer und CEO von Seneca Care.
Adalbert Koch, Sie sind der Gründer von Seneca Care. Zuvor waren Sie für die Organisationsentwicklung bei Swiss Re zuständig. Wie kamen Sie auf die Idee, eine Pflegeplattform zu gründen?
Aufgrund einer persönlichen Erfahrung in der Familie. Als die Großmutter Pflege zuhause erhielt, begann ich, mich mit dem Thema Pflege auseinanderzusetzen.
Ihnen ist die patientenzentrierte Pflege wichtig. Inwieweit unterscheidet sich Ihr Angebot von anderen?
Unsere Pflegefachpersonen sind Bezugspersonen der Klient:innen, aber auch von deren Umfeld (zum Beispiel der Angehörigen). Dafür ist es wichtig, dass beide, die Pflegefachpersonen und die Klienten, sich zu Beginn für die Zusammenarbeit entscheiden können. Unsere Pflegefachpersonen sind hochqualifiziert und erfahren; und sie erbringen, wenn möglich, alle Leistungen des Spektrums selbst (sogenannte a-, b- und c-Leistungen), um das festgelegte Pflegeziel zu erreichen.
Ihre Kenntnisse stützen sich auf ein Modell aus den Niederlanden namens Buurtzorg. Warum haben Sie gerade dieses gewählt?
Ich habe die Gründer von Buurtzorg vor einigen Jahren kennengelernt und in den Niederlanden bei Pflegeteams erlebt, wie sie Community Care erbringen: Als selbstorganisierte Pflegeteams beziehen sie das Umfeld der Klient:innen in die Pflege ein; sie arbeiten mit dem Umfeld zusammen, um sogenannte Outcomes (Pflegeziele) zu erreichen. Was mich dabei am meisten beeindruckt hat, ist dass sich die Pflegefachpersonen Zeit für die Klient:innen nehmen können; dass sie die Verantwortung erhalten, das zu tun, was für die Klient:innen an dem Tag das Wirksamste ist – und sei dies auch nicht exakt das, was der Pflegeplan vorgibt. Das Paradox daran ist, dass Buurtzorg einerseits die Pflegequalität verbessern und andererseits die Pflegekosten senken konnte. Seit Ende 2022 sind wir Kooperationspartner von Buurtzorg, um dieses Modell auf die Schweiz zu adaptieren (kein Copy-Paste!).
Wie hilft die massgeschneiderte App (erhältlich im App Store und Google Play) den Alltag der Pflegenden zu vereinfachen?
Vorab muss ich sagen, dass alle Vorschläge für die Verbesserung des Pflegealltags durch die App von den Pflegefachpersonen kommen, und sie deren Umsetzung mitgestalten und testen. Das Ziel ist es, die Pflegeadministration zu vereinfachen, Zeiteinsparungen zu ermöglichen (die dafür anderweitig genutzt werden können) und gleichzeitig inhaltliche Sicherheit zu geben, nämlich den Vorgaben der Krankenkassen zu entsprechen.
Wie viele Leute arbeiten damit?
Aktuell arbeiten 8 diplomierte Pflegefachpersonen FH und, Psychiatrie mit Seneca und somit auch der App. Sie werden von einer Person im Backoffice administrativ entlastet und unterstützt, welche hierfür die ebenfalls eigens entwickelte Backend-Lösung nutzt.
Was ist Ihr Ziel mit Seneca Care?
Wir möchten Änderungen im Schweizer Gesundheitssystem aufzeigen und diese mitgestalten zu können.
Es ist bekannt, dass gerade die Pflege sehr viel von den Arbeitnehmenden abverlangt. Gemäss Blick vom 2. April werden im 1. Quartal 2024 6’717 Pflegefachpersonen gesucht. Einige tragen sich mit dem Gedanken, den Beruf zu wechseln. Was machen Sie bei Seneca Care anders, damit der Pflegeberuf wieder attraktiver wird?
Wir bieten Pflegefachpersonen ein Arbeitsumfeld, in dem sie sich auf das Pflegen konzentrieren, ihr Arbeitsumfeld und ihren Arbeitsalltag selbstverantwortlich organisieren und dafür die entsprechende Wertschätzung – auch hinsichtlich der Vergütung – erhalten. Sie können unser Pflegemodell und somit auch eine in der Schweiz neue Art des Pflegens aktiv mitgestalten.
Über welche Autonomie verfügt das Pflegepersonal?
Beispiele sind die Annahme neuer Klienten, die Zusammenarbeit im Pflegeteam oder die Rekrutierung von neuen Kollegen. Gleich wie bei Buurtzorg erhalten die Pflegefachpersonen dafür Rahmenvorgaben, an denen sie sich orientieren können. Es ist wichtig, Orientierung zu geben und dabei sowohl den Gestaltungsraum als auch dessen Grenzen gemeinsam zu definieren. Neue Pflegefachpersonen erhalten auch Begleitung durch andere Pflegefachpersonen (Peer-Coaching).
Sind die Pflegefachpersonen bei Ihnen angestellt oder arbeiten sie frei?
Die Pflegefachpersonen sind angestellt. Für die Zukunft besteht die Option, dass freischaffende Fachpersonen unsere App- und Backoffice-Dienstleistungen beispielsweise mit einem Mitgliederbeitrag nutzen können.
Es gibt viele Beispiele, wo sich immer wieder andere Pflegekräfte um Patienten kümmern. Diesen Umstand beklagen deshalb viele Pflegebedürftige. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Wie eingangs beschrieben, arbeiten wir mit dem Bezugspersonen-Modell. Das bedeutet, dass Klienten und auch deren Umfeld (Angehörige, etc.) eine bestimmte Pflegefachperson als kontinuierliche Bezugs- und Ansprechperson haben, welche auch die gesamten oder meisten Pflegeleistungen erbringt.
Was zahlen die Versicherungen an die Pflegekosten?
Als Krankenkassen-anerkannte Organisation in der ambulanten Pflege vergüten die Krankenkassen unsere erbrachten Leistungen nach den gleichen gesetzlichen Tarifen wie bei Spitex-Anbietern. Kantone leisten Zusatzfinanzierung, Klient:innen einen Patientenanteil.
Wie unterstützen Sie Familienmitglieder bei der Pflege eines Kranken?
Familienmitglieder sollen – wenn sie wollen und können – in die Pflege einbezogen werden, auch in das Setzen der Pflegeziele und deren gemeinsames Erreichen. Das Ziel soll sein, dass es uns, Seneca, immer weniger bis gar nicht mehr braucht, indem sich beispielsweise das Umfeld der Klienten durch die Zusammenarbeit mit uns aktiviert und effektiv organisiert werden konnte.
Seneca wurde bereits zum zweiten Mal ins FoHG-Programm von CSS und EPFL Innovation Park gewählt, dieses Mal im Level 2. Was bedeutet das für Sie?
Das ist einerseits eine Anerkennung des Innovationspotenzials unseres Modells. Andererseits ist es eine grosse Chance, dieses Innovationspotenzial zu realisieren, da das Programm neben dem finanziellen Grant ein enorm starkes Netzwerk von Top-Experten aus den verschiedensten Bereichen des Gesundheitswesens, der Technologie oder der Corporate Finance zur Verfügung stellt, die uns zielgerichtet und fokussiert unterstützen.
Man kann Seneca Care kontaktieren, um die Zukunft der ambulanten Pflege aktiv mitzugestalten. Wie funktioniert das?
Die interessierte Person lernt uns kennen und kann uns alle Fragen stellen. Ist sie eine Pflegefachperson, beginnt dieser Austausch mit Mitgliedern eines Pflegeteams. In diesen Gesprächen wird klar, ob und in welchen Bereichen eine Person etwa besondere Stärken oder Interessen hat und diese einbringen will. Möchte die Person sich auf das Pflegen fokussieren, tut sie das. Möchte sie beispielsweise eine neue Angebotsidee entwickeln, evaluieren und testen wir diese gemeinsam.
Wo ist Seneca Care bereits tätig und sind Expansionen geplant?
Aktuell sind unsere Pflegefachpersonen im Kanton Bern (Stadt Bern, Thun) sowie im Kanton Zürich (Stadt) tätig. Zudem verfügen wir auch im Kanton Zug über die Krankenkassen-Anerkennung und sind daran, hier eine Angebotsidee einer sehr erfahrenen Pflegefachfrau für Klienten und Angehörige im Bereich Alter und Demenz zu evaluieren. Darauf werden wir uns in diesem Jahr fokussieren und versuchen, in diesen Kantonen schrittweise weitere Pflegefachpersonen oder -teams zu gewinnen sowie erste pflegende Angehörige in unsere Pflegeteams aufzunehmen. Sollten aber Pflegefachpersonen aus anderen Kantonen Interesse haben, mit uns eine Präsenz aufzubauen, sind sie sehr willkommen.
Adalbert Koch (1973), verheiratet (3 Kinder), in Luzern
- SENECA: Seit 2020 Fokus auf das Unternehmen Seneca konsequent und langfristig aufzubauen
- SwissRe: Teilzeit-Pensum (seitJuni 2020); ein Jahr Auszeit in 2022 für Seneca
- SwissRe: Seit 2008 in der Unternehmens- und Geschäftsentwicklung, Führung internationaler Teams. Zuvor Geschäftsberichte, Medienarbeit
- Winterthur,C S, EY: Unternehmenskommunikation und Politische Kommunikation
- Journalismus: Teilzeit Neue Luzerner Zeitung, Schreiben, Tätigkeit in diversen Agenturen
- Fussballprofi: FCL, Kriens, Delémont, USA, etc.
- Studium: Politische Philosophie, Publizistik & Geschichte ZH/Barcelona
- Kantonsschule in Reussbühl
Lesen Sie auch: Ancora.ai: Without clinical trials, there would be no aspirin und YLAH: Startup hilft bei geistigen Gesundheitsproblemen