«Open Pension» begegnet den Herausforderungen im Schweizer Vorsorgesystem
2. Dezember 2024 | Aktuell Allgemein InterviewsDas Schweizer Vorsorgesystem basiert auf drei Säulen: der staatlichen Vorsorge (AHV/IV), der beruflichen Vorsorge (Pensionskassen/BVG) und der individuellen Vorsorge (3. Säule). Obwohl dieses System international oft als vorbildlich gelobt wird, steht es vor erheblichen Herausforderungen, die seine Stabilität und Effizienz bedrohen. Im folgenden Interview wird eine detaillierte Analyse dieser Herausforderungen präsentiert.
thebroker spricht mit Stephanie Wickihalder, Präsidentin des Verbands Swiss Fintech Innovations (SFTI) und Michael Müller, Leiter der Arbeitsgruppe Open Pension und Partner bei Acrea.
Wofür wurde der Verband Swiss Fintech Innovation (SFTI) gegründet?
Stephanie Wickihalder (SW): SFTI wurde 2016 als unabhängiger Verein von Schweizer Finanzmarktteilnehmern gegründet. Ziele sind die Förderung und Stärkung von Zusammenarbeit und digitaler Innovation in der Finanzdienstleistungsbranche.
Wer sind dessen Mitglieder?
SW: Unsere Mitglieder sind innovationsoffene Finanzmarktteilnehmer aus der Schweiz, insbesondere Banken und Versicherungen, aber auch Beratungsdienstleister, Technologie-, Finanzmarktinfrastruktur- und Softwareprovider sowie weitere Player am Markt. Jedes Mitglied hat die Möglichkeit, Projektideen anzuregen und Arbeitsgruppen zu initiieren.
Was genau versteht man unter dem Open-Pension-Konzept?
Michael Müller (MM): Das Open-Pension-Konzept ist eine Erweiterung des Open-Finance-Gedankens und konzentriert sich auf den sicheren und standardisierten Austausch von persönlichen Vorsorgedaten. Es stellt den Menschen in den Mittelpunkt, indem es ihnen ermöglicht, über digitale Schnittstellen (APIs) ihre persönlichen Vorsorgedaten sicher mit vertrauenswürdigen Drittanbietern zu teilen – natürlich immer nur mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung.
Ziele des Open-Pension-Konzepts – Einfacher mehr Transparenz: Menschen sollen einen viel einfacheren Zugang zu einer Gesamtsicht auf ihre Vorsorgesituation erhalten, indem Daten aus allen drei Säulen mittels wenigen Klicks aggregiert werden können – an dem Ort, wo die Versicherten dies wünschen.
Förderung von mehr Selbstbestimmung: Versicherte können ihre Vorsorgedaten gezielt für Analysen oder Simulationen freigeben, um fundierte (Finanz)-Entscheidungen zu treffen.
Förderung von Innovation und Wettbewerb: Durch die Öffnung der Daten können Versicherungen, Banken und Fintechs innovative Services entwickeln, wie beispielsweise Prognosen zur Altersvorsorge oder Simulationen für verschiedene Szenarien (z.B. Teilzeitarbeit oder Frühpensionierung).
Welche Versicherer unterstützen Open Pension?
MM: Es gibt spürbares Interesse seitens der Versicherer, und wir stehen regelmässig im Austausch. Neben Gesprächen und Feedback gibt es auch erste Diskussionen über mögliche Pilotprojekte, die als wichtige nächste Schritte dienen könnten. Grundsätzlich sind alle Versicherer mit den Zielen – mehr Vorsorgetransparenz und Selbstbestimmung – einverstanden. Viele beobachten jedoch nicht nur die Entwicklungen in der Branche, sondern auch die politischen Weichenstellungen in Bern.
Weshalb unterstützen nicht alle Versicherer dieses Konzept?
SW: Versicherungen haben oftmals eigene Vorsorgeportale aufgebaut, sprich proprietäre Lösungen. Das Konzept von Open Pension basiert hingegen auf breitgetragenen Standards, welche die Transparenz und Effizienz im Markt zu Gunsten der Versicherten (Endkunden) zu erhöhen. Durch die Förderung der Datenzugänglichkeit werden letztlich auch die Kosten sinken.
Was ist das Hauptziel des Positionspapiers «Open Pension» von Swiss Fintech Innovations?
MM: Im Dezember 2022 hat der Bundesrat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) beauftragt, zu prüfen, wie der digitale Zugang zu Vorsorgedaten angemessen gefördert werden kann. Das SFTI-Positionspapier «Open Pension» leistet einen Beitrag zu diesem Vorhaben. Das Papier bietet strategische Optionen zur Öffnung der zweiten Säule und unterstützt damit die vom Bundesrat beauftragte Prüfung, wie der digitale Zugang zu Altersvorsorgedaten angemessen gefördert werden kann.
Welche Herausforderungen adressiert das Konzept «Open Pension» im Schweizer Vorsorgesystem?
MM: Das Konzept «Open Pension» adressiert die zentrale Herausforderung der Wissenslücke bei der Altersvorsorge. Viele Schweizerinnen und Schweizer wissen wenig über ihre Vorsorgesituation und die Auswirkungen von Entscheidungen wie zum Beispiel Teilzeitarbeit. Dies führt zu Unsicherheit und dem Gefühl von Machtlosigkeit. Komplexe Fachbegriffe und fehlende personalisierte Ansprache erschweren den Zugang zusätzlich.
Welche Rolle spielen Pension-Tracking-Systeme (PTS) in europäischen Ländern und wie könnten sie in der Schweiz implementiert werden?
MM: Pension-Tracking-Systeme (PTS) bieten in vielen europäischen Ländern Transparenz und Übersicht über die Altersvorsorge, indem sie Daten aus verschiedenen Vorsorgequellen bündeln. Beispiele wie Belgien (mypension.be) zeigen, dass bis zu 36 Prozent der Bevölkerung jährlich PTS nutzen, um Rentenansprüche einzusehen und Simulationen zu erstellen. In der Schweiz könnte ein PTS durch standardisierte APIs, wie sie von der SFTI-Arbeitsgruppe «Open Pension» propagiert werden, umgesetzt werden.
Welche strategischen Umsetzungsoptionen für ein PTS werden im Positionspapier vorgestellt?
MM: Open Pension besteht aus drei Grundbausteinen, die das Open Pension System bilden: einem optionalen Rechtsrahmen, Governance und dem Ökosystem (d.h. einem Netzwerk von Teilnehmenden einer Datenaustausch-Architektur). Im Positionspapier stellen wir fünf strategische Optionen für die Umsetzung des Ökosystems vor. Die Optionen können in zwei verschiedene Typen unterteilt werden.
Typ 1 beinhaltet zentrale Plattformen, die als Drehscheibe für die Vernetzung und den Datenfluss zwischen den involvierten Parteien dienen.
Typ 2 basiert auf dem Prinzip des «Self-Sovereign Data Sharing», bei dem Einzelpersonen ihre Vorsorgedaten direkt (ohne eine Plattform) teilen (z.B. über eine E-ID-Wallet).
Im Positionspapier werden die fünf Optionen ausführlich erörtert und bewertet.
Welche Voraussetzungen sind notwendig, um die Öffnung der zweiten Säule in der Schweiz zu ermöglichen?
MM: Ein öffentlich-privates Governance-Modell soll die Zusammenarbeit zwischen Staat und Branche fördern. Eine solche Governance ist eine notwendige Voraussetzung zu Interessensalignierung. Auf dieser Basis können freiwillige Kooperationen und Selbstregulierung der Akteure weiteres Regulierungsbestreben minimieren und ein flexibles, innovatives Umfeld schaffen. Der nächste Schritt liegt an der Politik, mit einem klaren Bekenntnis zur Öffnung und dem PTS die nächsten Schritte einzuleiten.
Bekommt die Initiative des SFTI-Verbandes in irgendeiner Form politische Unterstützung für das Open Pension Vorhaben?
SW: SFTI ist im Austausch mit Politik und Behörden zu diesem wie weiteren Themen. Die Interpellation von Marcel Dobler zu einem PTS wurde diese Woche beantwortet. Aktuell prüfen wir die vom Bundesrat gesprochene Antwort und diskutieren nächste Schritte mit Branchenvertretern.
Stephanie Wickihalder ist seit 20 Jahren in der Finanzbranche tätig, in den Bereichen Investment Banking, Wealth Management und Digitalisierung. Seit 2018 ist sie Präsidentin des Vereins Swiss Fintech Innovations (SFTI), in dem die wichtigen Akteure der Digitalisierung im Schweizer Banken-, Versicherungs-, Technologie- und Beratungssektor zusammengeschlossen sind. Sie hat zudem mehrere Beratungsmandate im Fintech-Sektor inne, ist stellvertretende Geschäftsführerin des Liechtensteinischen Bankenverbandes sowie Gastdozentin an der Universität Zürich und der HWZ Hochschule für Wirtschaft in Zürich.
Michael Müller ist Partner und Mitgründer von Acrea, einem Boutique-Managementberatungsunternehmen aus Zürich. Michael hat über 20 Jahre Erfahrung in der Digitalisierung von Banken und Versicherungen. Als aktives Mitglied von Swiss FinTech Innovations (SFTI) engagiert er sich in Projekten wie Open Pension, um Transparenz und Nutzerfreundlichkeit in der Vorsorge zu fördern.
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