Noch immer ein Tabu: Interview mit einer an Depression erkrankten jungen Frau

25 April, 2025 | Aktuell Allgemein Interviews Nicht kategorisiert
Noch immer ein Tabu: Susanna (anonymisierter Name) spricht zum ersten Mal öffentlich über ihre Depression.
Noch immer ein Tabu: Susanna (anonymisierter Name) spricht zum ersten Mal öffentlich über ihre Depression.

Nachdem sich die Chefredaktorin und Verlegerin von thebrokernews «geoutet» und erzählt hat, dass auch sie wegen Depressionen während fünf Monaten in einer Klinik war, erhielt sie eine freundliche Nachricht auf LinkedIn von einer Frau, die sich dadurch ermutigt fühlte, auch Ihre Erfahrungen mit der Tabu-Krankheit zu teilen.

Im Interview mit Binci Heeb spricht Susanna (diesen Namen wählte die Interviewte selbst) über ihre Erfahrungen mit einer psychischen Erkrankung.

Susanna hat sich entschieden, dieses Interview anonym zu führen. Nicht aus Feigheit, sondern aus Realismus. Sie glaubt, unsere Berufswelt sei noch nicht bereit, mit psychischen Erkrankungen vollständig wertungsfrei umzugehen.

Gerade Diagnosen bieten vielen Menschen eine scheinbar einfache Möglichkeit, andere in Schubladen zu stecken – aus Unwissen, Unsicherheit oder auch aus Angst. Und wenn man ehrlich ist: Wer als Führungskraft, Mutter, Kollegin oder einfach als Mensch offen über ein psychisches Tief spricht, läuft schnell Gefahr, reduziert, belächelt oder sogar abgeschrieben zu werden.

Deshalb dieser Weg: sichtbar, aber nicht erkennbar. Persönlich, aber nicht privat. Und hoffentlich ein kleiner Beitrag zur Entstigmatisierung.

Wie begann Ihre Depression – und wann haben Sie erkannt, dass es mehr ist als eine vorübergehende Verstimmung?

Susanna: Rückblickend war es ein schleichender Prozess, eine Reise, auf der ich mich wohl schon länger befand. Das Tückische an einer Depression ist, dass man sich erst dann grundlegende Fragen stellt, wenn man bereits in einer gefährlichen Situation ist.

Bei mir war nicht der Beruf das Problem – ich habe meine Arbeit gern gemacht. Vielmehr waren es gravierende private Belastungen, die mich über längere Zeit hinweg stark gefordert haben. Ich dachte lange, ich müsse mich einfach nur zusammenreissen, dass es nur eine Phase sei, weil das Leben eben nicht immer linear verläuft.

Man vergleicht sich ständig mit anderen, hat das Gefühl, nicht sensibel sein zu dürfen. Doch irgendwann kam der Moment, in dem ich realisierte: Ich schaffe das nicht mehr alleine. Das ist kein Durchhänger – das ist etwas anderes.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie Hilfe gesucht haben – und wie kamen Sie an die richtige Stelle?

Trotz meiner persönlichen Nähe zum Thema psychische Gesundheit fiel es mir schwer, mir selbst einzugestehen, dass ich Hilfe brauche. Es dauerte mehrere Monate, bis ich mir dieses «Scheitern» eingestand.

Schliesslich hat mich ein alter Freund aus Kindertagen – er ist heute Psychiater – ermutigt, konkretere Abklärungen zu treffen. Dieser Schritt war für mich eine grosse Überwindung, aber letztlich der erste Schritt in die richtige Richtung.

Gab es einen Auslöser für Ihre Erkrankung – oder war es eine Kombination von Umständen?

Ich glaube, es ist wichtig, zwischen drei Faktoren zu unterscheiden: der eigenen Persönlichkeit, den belastenden Umständen und dem konkreten Auslöser.

Meine Lebenssituation war von Natur aus fordernd – ich habe einen verantwortungsvollen Beruf und kleine Kinder. Das allein ist aber nicht der Grund, warum man in einer Klinik landet.

Meine Persönlichkeit bringt gute Voraussetzungen für Überforderung mit: ein hoher innerer Anspruch, viel Energie, aber auch wenig Grenzen. Der eigentliche Auslöser war eine Reihe einschneidender privater Ereignisse, die sich über längere Zeit zugespitzt haben.

Interessanterweise waren es dann gerade die Arbeit und die Kinder, die mir Halt und Struktur gaben – sie gaben meinem Leben Sinn und halfen mir, nicht völlig im Dunkeln zu verschwinden. Und gerade die Kinder waren der ausschlaggebende Grund, warum ich mich schlussendlich für einen Klinikaufenthalt entschlossen habe: Ich wollte ihnen wieder eine erfüllte und lebensfrohe Mutter sein. 

Sie haben in der Klinik eigene Hypothesen zur Zunahme psychischer Erkrankungen entwickelt. Möchten Sie einige davon teilen?

Die Zeit in der Klinik war für mich auch eine Phase intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema und ich habe auch viele Gespräche mit anderen Betroffenen und Fachpersonen geführt. Diese Erfahrungen haben mir gezeigt, dass wir uns als Gesellschaft vieles nicht vorstellen können und unsere Urteile und Vorstellungen auf einem völlig verzerrten Bild aufgebaut sind.

Aufgrund dessen habe ich eine Reihe Hypothesen gebildet. Sie basieren auf der Frage der aktuellen Zunahme von psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren und wie es dazu kommt. Dies sind keine wissenschaftlichen Wahrheiten, sondern Impulse für Reflexion und Diskussion. 

Vorweg zu nehmen ist, dass in all den Statistiken über die Arbeitsausfälle nota bene die zahlreichen Jugendlichen und älteren Menschen nicht inkludiert sind, und meines Erachtens auch diese eine nicht untergeordnete Rolle bei den Patienten spielen.

Gesellschaftlicher Wandel & Lebensstil

Beschleunigung des Lebens: Die moderne Welt ist schneller, komplexer, digitaler. Ständige Erreichbarkeit, Reizüberflutung und Dauerkommunikation erschweren Erholung und echte Nähe.

Soziale Medien & digitale Interaktionen: Mehr Kommunikation, aber weniger echte Verbindung. Virtuelle Beziehungen ersetzen reale – emotionale Isolation nimmt zu. Wird diese Lücke nun von Psychologen gedeckt, weil es niemanden mehr zum reden gibt?

Verlust von Werten und Strukturen: Haben wir an traditionellen Werten verloren die zu Sicherheit, Gemeinschaft und Verlässlichkeit geführt haben? Viele Menschen fühlen sich orientierungslos.

Selbstoptimierungsdruck: Die ständige Erwartung, sich selbst zu verbessern, zu funktionieren und glücklich zu sein, erzeugt psychischen Druck. Hat das Mass, an dem wir messen, was wir als zufrieden und glücklich empfinden zugenommen?

Höhere Lebenserwartung: Eine alternde Gesellschaft bringt neue psychische Herausforderungen mit sich – auch im Hinblick auf Einsamkeit, Altersdepressionen oder Demenz. Kann es sein, dass es durch eine höhere Lebenserwartung auch vermehrt zu psychischen Erkrankungen kommt?

Familie, Beziehungen & Rollenbilder

Veränderte Familienmodelle und Rollenbilder: Patchwork, Alleinerziehende, Mehrfachbelastungen – moderne Familien sind oft instabiler und emotional herausfordernder. Ist das neue Familienkonstrukt mitverantwortlich für unklarere Rollenverteilungen und Herausforderungen?

Zunahme von Trennungen: Längere Lebensdauer, «offenere Welt», kompliziertere Beziehungen, emanzipierte Frauen – das führt zu neuen Beziehungsdynamiken.

Weniger Nähe und emotionale Bindung: Kinder erleben teils weniger gelebte Liebe und Nähe – das kann sich langfristig auf die psychische Stabilität auswirken.

Arbeitswelt & Leistungskultur

Agilere Arbeitsformen: Mehr Verantwortung und Entscheidungsspielraum – nicht jeder Mensch kann oder möchte das tragen.

Höherer Leistungsdruck: Die Arbeitswelt ist schneller, unsicherer, globaler. Viele fühlen sich überfordert oder austauschbar. Und dennoch: Noch nie war die Arbeitswelt auf der anderen Seite so «gewattepauscht» – wie kann es sein, dass wir dennoch die höchsten Ausfallraten aufgrund psychischer Erkrankungen haben?

Fehlende Erholung & klare Grenzen: Work-Life-Balance bleibt oft ein Lippenbekenntnis. Erholung wird selten systematisch eingeplant.

Sich wandelnde Führungskultur: Narzisstische oder toxische Führung trifft auf Mitarbeitende, die mehr Mitbestimmung und Menschlichkeit einfordern – das führt zu Spannungen.

Teilzeitarbeit und dennoch hohe Belastung: Trotz hoher Teilzeitquote – zum Beispiel in der Schweiz – steigt die psychische Belastung. Ein Widerspruch?

• Mehr Frauen am Arbeitsmarkt: Dass heute auch mehr Frauen als früher am Arbeitsmarkt tätig sind, insbesondere auch Mütter, führt zu zusätzlichen Belastungen – wie zum Beispiel Privates und Berufliches zu vereinbaren. 

  • Neue Dynamik: Früher hat man gekündigt wenn einem der Job nicht mehr «gefiel». Gefühlt bleiben heute alle einfach in ihren Funktionen und werden dann krank. Wie kommt es dazu?
  • Mehr Toleranz: Hatten wir früher einfach nicht die Möglichkeit wegen psychischen Problemen am Arbeitsplatz zu fehlen wegen fehlender Toleranz und Angst um den Arbeitsplatz?
Gesundheitssystem, Diagnostik & Therapie

• Diagnosen durch bessere Erkennung:  Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind heute viel besser als früher und psychische Erkrankungen werden daher heute häufiger erkannt und benannt – insbesondere bei Frauen und Kindern. 

Früherkennung & Sensibilisierung: Es gibt mehr Bewusstsein für frühe Anzeichen, mehr Screening – das erhöht die Fallzahlen, aber auch die Chance auf rechtzeitige Hilfe.

Zunahme von Dauer-Medikationen: Medikamente werden heute häufiger verschrieben. Haben die Nebenwirkungen abgenommen? Oder sind wir heute abhängiger von Medikamenten?

Mehr Therapieangebote, aber auch höhere Nachfrage: Der Bedarf steigt, teilweise ersetzt der Therapeut fehlende menschliche Beziehungen im Alltag.

Trend oder echte Not? Ist der Wunsch nach psychischer Hilfe Ausdruck echter Not – oder ein Wohlstandsphänomen? Es ist ebenso auch Trend in Wohlstandsgesellschaften, sich um seine mentale Gesundheit zu kümmern. 

Gesellschaftliche Entwicklung & Tabubrüche

Weniger Stigmatisierung: Menschen trauen sich eher, über ihre psychischen Probleme zu sprechen – ein positiver Schritt, der aber auch den Eindruck verstärken kann, es gäbe «mehr» Erkrankte.

Generationen im Umbruch: Junge Menschen sind emotional reflektierter, offener, aber auch verletzlicher und legen mehr Wert auf mentale Gesundheit. Ältere Generationen tragen unaufgearbeitete Altlasten mit sich. Holen wir gerade nach was wir in Kindesjahren versäumt haben?

Mehr Sichtbarkeit von Themen wie ADHS, Depression, Burnout: Medien, Influencer, Prominente – psychische Gesundheit ist sichtbarer denn je. Haben Süchte früher mehr kompensiert?

Diversität & Identität: Themen wie Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung oder soziale Zugehörigkeit sind präsenter – und bringen neue, soziale wie psychische, Herausforderungen mit sich.

Bildung & Erziehung

Rolle der Schule: Frühkindliche Förderung, emotionale Bildung und psychische Resilienz sind nicht immer ausreichend verankert. Welche Rolle hat die Schule heute?

Veränderung in der Erziehung: Der Fokus auf «kindgerecht» kann sowohl positive als auch unerwartete negative Effekte haben – zum Beispiel Überbehütung oder fehlende Frustrationstoleranz.

Frühkindliche Traumata & unaufgelöste Belastungen: Viele psychische Probleme im Erwachsenenalter haben ihren Ursprung in der Kindheit – hier zeigt sich, wie wichtig Prävention ist. Hat eine Früherkennung in Kindesjahren künftig positive Auswirkungen? Hat Kinderpsychologie zugenommen?

Bei Ihnen wurde auch AD(H)S diagnostiziert – wie zeigt sich das, und wie gehen Sie damit um?

Die Diagnose ADHS habe ich erst spät erhalten – und anfangs konnte ich sie kaum annehmen. Für mich fühlte es sich wie ein persönliches Scheitern an. Ich dachte: Jetzt auch noch das? Ich habe mich geschämt und es zunächst ignoriert.

Dabei ist ADHS – richtig betrachtet – keine Krankheit im klassischen Sinn, sondern eine sogenannte Normvariante. Es bedeutet, dass das Gehirn anders funktioniert, nicht schlechter. Es gibt nicht nur «den Zappelphilipp» – gerade bei Frauen bleibt ADHS lange unerkannt, weil sie sich oft perfekt anpassen, ihre Symptome verstecken, kompensieren – besonders bei hoher Intelligenz. ADHS beinhaltet ein sehr breites Spektrum.

Ein Gespräch mit meinem Arzt war dann der Wendepunkt. Er erzählte mir von den vielen Facetten dieser Diagnose, aber auch von den Stärken – von der Kreativität, der Energie, der Intuition. Ich fühlte mich das erste Mal verstanden. Es war ein Befreiungsschlag. Plötzlich ergab alles in meinem Leben Sinn – ich war nicht falsch gewickelt, sondern einfach anders verdrahtet. 

In der Klinik habe ich mich das erste Mal nicht mehr wie ein Alien gefühlt. Ich war in guter Gesellschaft. Dieses Gefühl von Zugehörigkeit – das war unglaublich heilsam.

Und ja, ich bin überzeugt: Meine Energie, meine Ausdauer, mein Erfolg – all das verdanke ich auch dem ADHS. Ich habe meine Herausforderungen, aber auch erkannt, dass mein ADHS mir in vielen Bereichen die viel zitierte «Superpower» beschert. Es birgt aber auch Gefahren: ADHS ist auch bei mir mit ein Grund für die entstandene Depression. Man ist einfach gefährdeter, weil man sehr lange angepasst funktioniert bis es wirklich nicht mehr geht.

Haben Sie gegenüber Ihrem Arbeitgeber offen über Ihre Erkrankung gesprochen?

Am Anfang nicht. Ich habe mich geschämt – sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld. Selbst meinen Freunden gegenüber habe ich es nur sehr dosiert erzählt.

Im Beruf wollte ich mich nicht erklären. Zum einen, weil meine Probleme nichts mit dem Job zu tun hatten. Zum anderen, weil ich um jeden Preis vermeiden wollte, in die Schublade «Burnout» gesteckt zu werden.

Gerade als Frau, Mutter kleiner Kinder, in einer Führungsrolle – da ist das Urteil schnell gefällt: Eh klar, überfordert. War ja abzusehen.

Das stört mich – und es zeigt, wie sehr wir immer noch in Stereotypen denken.

Wie hat Ihr Arbeitgeber darauf reagiert?

Mein Vorgesetzter hat extrem professionell, empathisch und gelassen reagiert. Dafür bin ich sehr dankbar.

Das Letzte, was ich in dieser Situation gebraucht hätte, wäre zusätzlicher Druck oder Misstrauen gewesen. Stattdessen wurde mir mit Vertrauen begegnet. Das war ein wichtiger Baustein auf meinem Weg zurück.

Und die Mitarbeitenden – wussten sie Bescheid? Wie gehen Sie damit um?

Nein, mein Team wusste nichts Konkretes. Ich habe mich ganz bewusst dazu entschieden, nicht offen darüber zu sprechen.

Rückblickend war das vor allem eine Schutzreaktion. Ich wollte nicht angreifbar sein – und auch meine Autorität als Führungskraft nicht verlieren.

Es ist ein schmaler Grat: Offenheit kann verbinden, aber sie kann auch verletzlich machen. Gerade in hierarchischen Strukturen ist das ein sensibles Thema. Ich hoffe, dass wir eines Tages soweit sind, dass Offenheit kein Risiko mehr bedeutet – sondern eine Stärke ist.

Wie hat Ihr privates Umfeld – Familie, Freunde – reagiert?

Auch hier wusste es zunächst nur der allerengste Kreis. Die erste Reaktion war oft: Was? Eine Klinik? Das brauchst du doch nicht! Ich muss aber zugestehen, dass auch niemand von meinem schlimmen mentalen Zustand etwas mitbekommen hat. Ich bin Meisterin darin, die Fassade nach Aussen perfekt aufrechtzuerhalten

Doch im Nachgang kam fast immer ein zweiter Satz: Wie gut, dass du das gemacht hast. Diese Mischung aus Überraschung und Anerkennung zeigt, wie widersprüchlich wir als Gesellschaft mit psychischen Erkrankungen umgehen.

Sie möchten dazu beitragen, Depressionen und andere psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren. Wie gehen Sie dabei vor?

Ich versuche das Thema gezielt und mit Bedacht anzusprechen – nicht plakativ, sondern in Situationen, wo es passt und Resonanz erzeugt. In Gesprächen mit Kolleginnen, in Diskussionen, in kleinen Impulsen im Alltag. Ich glaube, es braucht nicht immer die grosse Bühne, sondern ehrliche Worte zur richtigen Zeit. Ich teile meine Erfahrung, die viele andere auch machen – und die oft im Verborgenen bleibt.

Mein Ziel ist es, Bewusstsein zu schaffen: dass psychische Gesundheit genauso ernst zu nehmen ist wie körperliche. Dass Hilfe holen ein Zeichen von Stärke ist. Und dass niemand Angst haben sollte, dadurch seine berufliche oder soziale Anerkennung zu verlieren. Und: eine geeignete Klinik ist der richtige Ort zur Heilung.

Welche Erfahrungen haben Sie in der Klinik gemacht?

Die Klinik war für mich ein entscheidender Wendepunkt in meinem Leben. Dort konnte ich innehalten, reflektieren und endlich atmen – nach Monaten des inneren Überlebens und der Angst. 

Was mich am meisten überrascht hat: Ich war dort nicht allein. Viele Menschen, viele Geschichten – und oft ähnliche Muster. Ich habe erkannt, wie wenig man von aussen sehen kann und wie viel Leid im Verborgenen geschieht.

Die Erfahrung dort hat mir nicht nur geholfen – sie hat mich verändert. Soviel Menschlichkeit und echtes Verständnis habe ich sonst noch nirgends erfahren. Man fühlt sich aufgehoben und geborgen und es entstand ein echtes Gefühl von Zugehörigkeit. Kein Versteckspiel mehr, kein Funktionieren. Man kann endlich so sein, wie man ist, mit allem was dazu gehört. 

Für mich war dieser Aufenthalt rückblickend das Beste was mir passieren konnte und ich bin dankbar, diese menschlichen Erfahrungen auf einer anderen Ebene erlebt zu haben. So esoterisch wie sich das auch alles anhört – es war eine Reise zu sich selbst.

Welche Konsequenzen hatte der Klinikaufenthalt für Sie? Müssen Sie in Zukunft etwas ändern?

Ja, definitiv. «You but new». Es war der Startschuss für ein neues Kapitel. Ich habe begonnen, mein Leben grundlegend zu überdenken – und vieles davon auch aktiv zu verändern.

Ich will nicht mehr «nur» funktionieren. Ich will nicht mehr alles schaffen müssen. Ich will bewusst leben, nicht getrieben.

Dazu gehört, Grenzen zu setzen, Nein zu sagen, Dinge auszusortieren – beruflich wie privat. Ich versuche, meine Energie besser einzuteilen, Ängste abzulegen und meine Bedürfnisse nicht länger zu übergehen.

Es ist ein Prozess, kein Zustand. Aber ich bin auf dem Weg – und das fühlt sich zum ersten Mal richtig an.

Als Führungskraft bei einem Versicherer: Welche Rolle spielen Versicherungen – und was sollten sie leisten?

Versicherungen spielen eine zentrale Rolle – sowohl in der Absicherung als auch in der Prävention und Nachsorge. Wenn man jahrelang Prämien bezahlt hat, erwartet man im Ernstfall eine einfache, verlässliche Abwicklung – und keine zusätzliche Belastung.

Gleichzeitig können Versicherer mehr leisten, als nur Geld auszuzahlen: Sie können Angebote schaffen, die echte Unterstützung bieten – nicht nur «Wellness-Apps» sondern Programme, die auf schwere Lebenslagen zugeschnitten sind. Es würde beispielsweise auch niemandem schaden, wenn man auch schon vor einer Lebenskrise «regelmässig» eine Gesprächstherapie für Selbstreflexion und Persönlichkeitsarbeit in Anspruch nehmen würde. Ähnlich wie eine Massage für den Körper tut die richtige Gesprächstherapie auch dem Geist gut. 

Auch als Arbeitgeber haben Versicherungen eine Verantwortung. Es wäre widersprüchlich, nach aussen Kunden im Bereich Mental Health zu beraten, aber die eigenen Mitarbeitenden mit Stigma oder Misstrauen zu konfrontieren.

Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass mein Arbeitgeber mich sehr unterstützt hat – das ist leider nicht selbstverständlich. Gerade deshalb ist die Vorbildwirkung von Unternehmen in diesem Bereich so entscheidend.

Schlusswort von Susanna

Dieses Interview zu führen, war für mich kein einfacher Schritt. Es bedeutet, sich verletzlich zu zeigen – auch wenn mein Name hier nicht steht.

Aber vielleicht hilft es jemandem, sich weniger allein zu fühlen. Vielleicht macht es Mut, hinzuschauen. Vielleicht öffnet es einen Raum.

Wenn das gelingt, dann war es das wert.

Hören und lesen Sie auch: thebrokernews Podcast 1


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