Feuer in Los Angeles: Wie funktioniert das US-Versicherungssystem
17. Januar 2025 | Aktuell Allgemein InterviewsSeit dem 7. Januar brennt es im Stadtteil Pacific Palisades im Südwesten von Los Angeles. Bis zum 16. Januar ist ein Gebiet von rund 96 Quadratkilometern verbrannt. Die Waldbrände in und um Los Angeles werden mit 20 bis 35 Milliarden US-Dollar (Gallagher Re) versicherten Schaden und bis zu 150 Milliarden volkswirtschaftlichen Schaden oder darüber zu den teuersten der Geschichte von Kalifornien werden. Zahlen werden vor allem die grossen US-Versicherer wie State Farm, Farmers, Chubb, Allstate und Travelers, die auch hinter dem kalifornischen «Fair Plan»-Versicherungspool stehen. Der Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, hat bereits vor Tagen in Los Angeles und den angrenzenden Landkreisen den Ausnahmezustand ausgerufen.
thebrokernews spricht mit Gabor Jaimes, Experte für Elementarschaden-, Sach- und Cyberversicherungen beim Schweizerischen Versicherungsverband SVV. Er hat von 2005 bis 2010 in Santa Monica, Kalifornien gelebt und in der Rückversicherungsbranche spezifisch bei der Einschätzung von Naturgefahrenrisiken in den USA gearbeitet. Er ordnet die dortige Lage und die Versicherungssituation ein.
Wenn man sich die Bilder im Fernsehen ansieht, wie schnell die Häuser in den betroffenen Gebieten total abbrennen, fragt man sich, ob das bei besserer Bauweise nicht glimpflicher ausginge. Bauen die Amerikaner zu schlecht?
Gabor Jaimes: Viele Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser in Kalifornien sind aus Holz gebaut. Dies ist anfällig auf Feuer, jedoch resistenter gegenüber Erdbeben. In anderen Gegenden der Erde hat man irgendwann vermehrt mit Backstein und Beton gebaut (z.B. Italien, Türkei, Neuseeland), was sich dann bei Erdbeben wiederum als verheerend erwiesen hat. Optimal wäre eine Bauweise wie in Japan. Die Hochhäuser in Downtown L.A. kommen dem am nächsten.
Könnten Versicherer nun eine bessere Bauweise (Stein, Stahl, Beton) verlangen?
Eine feuerresistente Beschichtung von Holz und das Vermeiden des Eindringens von aufgewirbelter, glühender Asche in den Dachstock können sich schon sehr positiv auswirken. Des Weiteren müssen verdorrte Bäume und Sträucher regelmässig aus der Umgebung von Siedlungen entfernt werden. Und zuletzt braucht es eine rasch einsetzbare und gut ausgerüstete Feuerwehr, um ausbrechende Feuer schnell unter Kontrolle zu bringen.
Diese Massnahmen werden von den Versicherern schon seit vielen Jahren propagiert und manchmal gut, manchmal weniger gut von den Hauseigentümern oder den Gemeinden umgesetzt. Eine flächendeckende, komplett neuartige Bauweise, welche Feuer und Erdbeben widerstehen kann, wie zum Beispiel in Japan, würde sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Ein Umdenken könnte nun aber in der Tat stattfinden. Man muss sich aber auch vor Augen führen, dass im Sommer 2026 Spiele der Fussball-WM in L.A. geplant sind und 2028 die Olympischen Sommerspiele in Los Angeles stattfinden werden. Wie alle Gastgeber von solchen Grossanlässen, werden auch die Angelinos ein möglichst positives, aufgeräumtes Bild abgeben wollen.
Man liest, dass viele kalifornische Hausbesitzer nicht versichert sind. Die Deckungslücke scheint wohl deswegen riesig. Können Sie dies bestätigen?
Wenn man die Schlagzeilen liest und sich die Diskrepanz zwischen volkswirtschaftlichem und versichertem Schaden vergegenwärtigt, kann man leicht zum Schluss kommen, dass über 80 Prozent der Gebäudeeigentümer nicht versichert wären. Dem ist aber überhaupt nicht so. Die Brände der letzten Woche, auch wenn diese in US-Gazetten oftmals als «Wildfire» (Waldbrand) bezeichnet werden, finden zur Zeit auf peripherem, städtischen Gebiet (L.A. County) statt.
Auf die Schweiz übertragen, wäre dies wie zum Beispiel in den Stadtteilen Höngg und Zürichberg. In L.A. County wird die Versicherungsdurchdringung auf gut 90 Prozent geschätzt. Es besteht in den USA kein Obligatorium, aber die Banken, welche eine Hypothek für ein Haus zur Verfügung stellen, fordern einen Versicherungsschutz. Dies wird auch durchgesetzt. Auch die Versicherungssummen werden in der Regel automatisch gemäss dem Teuerungsindex angepasst. Es kann jedoch immer noch vorkommen, dass Gebäude unterversichert sind, speziell wenn der Versicherer die staatliche «California FAIR Plan» ist, welche bei teureren Objekten eine tiefere Deckungsobergrenze verwendet. Bei Häusern ohne Hypothek fehlt die Kontrolle einer Bank. Da kann es vorkommen, dass bei der Versicherung gespart wird.
Aus meiner Sicht ist die Diskrepanz zwischen den momentan geschätzten, versicherten und den volkswirtschaftlichen Schäden unheimlich gross. Die versicherten Schäden werden wir in 2-3 Jahren ziemlich genau kennen. Volkswirtschaftliche Schäden bleiben oft etwas schleierhaft. Meine Vermutung ist, dass in den sehr hohen volkswirtschaftlichen Schaden viele immaterielle Imageschäden einkalkuliert sind oder auch non-damage business interruption. Eine genaue Kalkulation der bis zu USD 150 Mrd Schäden habe ich noch nicht gesichtet.
Die versicherten Schäden decken nebst Gebäude auch Fahrzeuge, Hausrat und bei Geschäften Betriebsunterbruch umfassen, sofern solche Versicherungen abgeschlossen wurden.
Worum handelt es sich beim Versicherungspool «Fair Plan»?
FAIR steht für Fair Access to Insurance Requirements (gerechter Zugang zu Versicherungsanforderungen). Dieser Versicherungspool, den es meines Wissens in jedem US-Bundesstaat gibt, wurde eigentlich als Auffangbecken für schwer oder nicht versicherbare Gebäude konzipiert. Entstanden sind solche FAIR Plans ursprünglich wegen gewalttätiger Gangs in gewissen Stadtteilen, wo die Versicherer die Gebäude nicht mehr zu versichern wagten.
In den letzten Jahrzehnten wurden immer mehr Gebäude, welche gegenüber Naturgefahren stark exponiert waren, aufgenommen. Ausser diesen FAIR Plans gibt es in den Staaten der Ostküste und entlang des Golfs von Mexiko die sogenannten «Windpools» und auch das «National Flood Insurance Program» (NFIP). Es handelt sich dabei immer um das gleiche Prinzip. Für Hauseigentümer, welche für ihr Objekt auf dem freien Versicherungsmarkt keine Deckung finden, sind diese «insurer of last resort», also die letzte Möglichkeit, für eine Versicherungsdeckung. Somit akkumulieren sich in diesen Vehikeln viele sogenannte schlechte, hochexponierte Risiken. Sie werden aber nicht einfach vom Markt absorbiert, sondern bei hoher Schadenlast wieder an die Privatversicherer, gemäss ihrem Marktanteil im jeweiligen Staat, zurückgegeben
In den letzten Jahren und dem Woolsey-Feuer (2018) in Südkalifornien und dem Camp-Feuer (2018) in Nordkalifornien haben Swiss Re und Munich Re die Selbstbehalte drastisch erhöht. Was schätzen Sie, wie viel werden die Rückversicherer zahlen müssen?
Das kann ich schlichtweg nicht abschätzen. Die Feuer der ersten Januarhälfte in der Umgebung von L.A. werden wohl rückversicherungstechnisch als ein Kumulereignis gehandelt. Je nach Schadenhöhe der einzelnen Versicherer und derer Rückversicherungsstruktur kann es durchaus sein, dass Rückversicherungsdeckungen greifen. In der Regel fliessen auch die auf die Privatversicherer abgewälzten Schäden aus dem California FAIR Plan in die Rückversicherungsdeckung mit ein.
Die Ratingagentur Moody’s schrieb, dass viele Gebäudeversicherer in Kalifornien nach den Waldbränden in 2017 und 2018 viele Verträge nicht erneuert haben, sondern die Eigentümer aufforderten, ihre Häuser besser vor Waldbränden zu schützen. Wie denken Sie darüber?
In erster Linie waren bei dieser Aktion Siedlungen ausserhalb der urbanen Zentren im Visier der Versicherer. Dennoch trafen diese Massnahmen auch Hauseigentümer in den Bezirken Pacific Palisades und Altadina, die am stärksten dem Feuer ausgeliefert waren. Dies Massnahme ist auch dem Umstand geschuldet, dass der staatliche Regulator (State Commissioner) Prämienerhöhungen von Versicherungsgesellschaften ablehnen kann. Wenn sich dadurch das Versicherungsportfolio nicht mehr profitabel bewirtschaften lässt, bleibt den Privatversicherern nur noch die Möglichkeit, sich von diesen Objekten zu trennen, respektive die Police nicht mehr zu erneuern.
Obwohl es in und um Pacific Palisades seit 1980 mehr als sechsmal brannte, wurden die Prämien zu den niedrigsten in den USA geschätzt. Wie ist das möglich?
Als ich noch in Santa Monica gelebt habe, gab es immer wieder Ausbrüche von Feuer in der Nähe des Stadtgebiets. Die Feuerwehr konnte diese immer innerhalb von wenigen Stunden oder spätestens nach etwa 24 Stunden unter Kontrolle bringen. Es scheint fast so, als hätte man nie mit einem Ereignis solchen Ausmasses gerechnet. Ausserdem, kann ein Versicherer die Höhe der Prämien nicht frei bestimmen. Der staatliche Regulator muss Prämienerhöhungen gutheissen. Das mag bis zu einem gewissen Grad attraktiv sein für den Konsumenten. Anderseits fehlen dann bewährte marktwirtschaftliche Mechanismen, wie risikoadäquate Preisgestaltung. Damit nimmt man einerseits den Anreiz, in effektive Schutzmassnahmen zu investieren und anderseits das Deckungskonzept und die Prämien bei erhöhten Risiken entsprechend anzupassen.
Gabor Jaimes ist Experte für die Themenbereiche Elementarschaden- Sach- und Cyberversicherung beim Schweizerischen Versicherungsverband SVV. Er hat über 20 Jahre internationale Erfahrung in der Versicherungsindustrie, wobei er den Grossteil seiner beruflichen Laufbahn im Ausland verbracht hat (USA, Asien, Australien, Europa). Gabor Jaimes ist unter anderem auch Vorstandsmitglied der Schadenorganisation Erdbeben.
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